Der heutige Tag war herausfordernd! Es ist 16h und ich liege ziemlich k.o. auf dem Bett. Froh um das Einzelzimmer, respektive die kleine Wohnung, die ich mir für kommende Nacht gemietet habe. Es tut gut, mit mir zu sein und Freiraum zu haben. Zum Abendessen werde ich ins Ostello (Pilgerunterkunft) gehen. Es sind mindestens fünf Leute dort, denen ich auf dem Weg schon begegnet bin. Trotz Bedürfnis nach Freiraum und Privatsphäre bin ich gerne mir ihnen zum Abendessen an einem Tisch. Um mich danach in meine "eigenen" 4 Wände zurückziehen zu können.

Morgenstimmung in der Toskana
Zurück zum heutigen Morgen - oder noch kurz zum gestrigen Abend. Es überkam mich gestern Abend ein Gefühl in Richtung Angst. Angst ist ein grosses Wort. Sagen wir, Beklemmung. Ich hatte bereits gelesen, dass es eine herausfordernde Strecke sein würde. Wohl deshalb, weil ein wesentlicher Teil ohne Schatten ist und weil es unterwegs kein Dorf gibt. In den vergangenen Tagen, wohl seit Anfang der Reise am 22. Mai in Vevey, hat es immer die Möglichkeit von Bus, Zug oder auch einer Bar (Kaffee, Essen, Trinken) gegeben. Heute würde das nicht der Fall sein. Somit bleibt quasi keine Ausstiegsmöglichkeit 🤔 (im Notfall gibts natürlich immer eine Lösung). Aber halt nicht so "ich mag jetzt nicht mehr, ich hab jetzt Lust auf Fahren" 😄. Nach einem Telefonat mit Stefan 😘 und der Abmachung mit Christian, zusammen in den Tag zu gehen, hatte sich das Gefühl dann ein wenig gelegt.

Feldweg um 7:21 Uhr
Es ist heute morgen 5:45, als wir die Türe vom (ehemaligen?) Franziskanerkloster in meinen 30. Wandertag aufstossen. Die Stimmung ist gut. Ich habe mehr als 1 Liter Wasser im Rucksack, dazu Oliven, Artischocken und Sardellenfilets 😋. Ich mag generell lieber salzig als süss. Eine Banane, ein Apfel und sonst noch ein wenig "Kleinfutter" wie Nüsse und Crackers sind auch im Essenssäckli.

Truthahn
Die Sonne ist gerade aufgegangen. Es ist angenehm frisch. Die erste Stunde gehen wir der Strasse entlang, als wir zum ersten Wasserhahn mit Rastplatz kommen. Wir machen eine kleine Pause, trinken Wasser, essen Frühstück. Danach führt der Weg weg von der Strasse auf angenehme Feldwege. So wird es die meiste Zeit des Tages bleiben. Am Rastplatz hat es eine kleine Plakette mit der Notfallnummer und, besonders hilfreich, einem Code. Ich denke der Erste war VF (Via Francigena) 075. Damit wissen die Menschen auf der anderen Seite der Telefonnummer 112, wo man sich befindet.

Ein wenig Schatten kurz nach 8 Uhr
Der Pfad führt heute durch die leicht hügelige typisch toskanische Landschaft auf- und abwärts. Bei einem Bauernhof motivieren Christian und Gregory einen Truthahn, sein typisches Geräusch von sich zu geben. Es ist ein entspannter Moment. Nach etwas mehr als 2h haben wir bereits auf 10km der heutigen Tour unsere Schuhabdrücke hinterlassen. Der Blick zurück auf San Miniato Alto lässt es jedoch noch so nah erscheinen...

Zwischen Erdhügeln
Um 8:40 gibts erneut einen Halt. Zwei weitere Pellegrini schliessen zu uns auf. Wir würden uns gerne kurz auf die Stühle im Garten des Hauses setzen, doch die Antwort der Besitzer ist, es gäbe 200 Meter weiter hinten einen Rastplatz. Da es bereits wärmer geworden ist und wir einfach froh um ein wenig Ruhe sind, setzen wir uns auf den Boden. Wir haben gut die Hälfte, 13 km, hinter uns.
Bei einem alten Haus, die Türe steht offen und ein Teil des Fliegenvorhang hängt noch, setzen wir uns 1,5h später erneut in den Schatten. Es ist heiss geworden. Trinken und Pausen einlegen haben somit an Bedeutung gewonnen. Als wir weiter durch die trockene Landschaft gehen fällt mir auf, dass die Schmetterlinge fehlen. Es gibt Kornfelder, ab und an ein paar vereinzelte Maispflanzen. Der Weg wird sandig. Da krieg ich gleich ein Peeling für meine Füsse, die in den Sandalen stecken. Und ich hoffe, der Sand und Dreck und Staub auf meinem Fussrücken ist ein natürlicher Sonnenschutz - ich habe vergessen, die Füsse mit Sonnencreme einzuschmieren.

Toskanische Landschaft
Beim nächsten Wasserhahn ist es Zeit für nasse weisse Tücher über den Kopf und unter den Hut.. Sie kühlen ein wenig, trocknen jedoch in der Wärme bald wieder. Ich bin froh, dass ich heute nicht alleine unterwegs bin. In einer Gruppe zu gehen gibt Motivation und Unterstützung, die ich heute benötige. Als wir um 12h, nach intensiven weiteren Kilometern, bei einem Schrein und einem Wasserhahn erneut ruhen, fühle ich mich irgendwie am Limit meiner Kräfte. Tränen drücken sich in die Augenwinkel. Ich bin erschöpft und spüre ich eine innere, mentale Müdigkeit.
Atmen geht gut, die Beine haben Energie; jedoch spüre ich einen Druck im Kopf.
Nach einer halben Stunde geht es in die letzten 2,5 km des Tages. Mein Blick schweift nicht mehr umher, ich konzentriere mich auf den Weg. Und ich frage mich, ob ich meine Grenzen kenne. Kennt man seine Grenzen erst dann, wenn man mindestens einmal darüber hinaus ist? Oder früher... Aber wie kann man sie kennen, wenn man sie nicht erlebt hat. Auf alle Fälle bin ich mit der emotionalen Müdigkeit heute wohl in die Nähe einer meiner Grenzen gekommen.

Weite Wege an der Sonne
Nachdem ich meine heutige Schlafstätte bezogen, geduscht und ein wenig ausgeruht habe, besuche ich am Abend ein Konzert in einer Kirche. Es berührt mich. Während dem gesamten Konzert sitze ich am Boden, an eine Säule aus Stein gelehnt. Ich bin mir näher so und kann die Musik wirken lassen.
So beschliesse ich, morgen einen Ruhetag einzulegen. Es gibt hier, wie der Name sagt, eine Terme. Die werde ich morgen besuchen und mich entspannend. Wie die Reise weitergeht werde ich danach planen.
Strava
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